Das 4-Phasen-Modell als neuer Ansatz in der Nachwuchsarbeit

Insbesondere für den Fußballnachwuchs gibt es verschiedene Ausbildungskonzepte. Neben der DFB-Ausbildungsordnung gibt es das „Horst Wein-Konzept“. Hier stehen Spielformen im 3 gegen 3 im Vordergrund, isolierte Technikübungen sucht man in diesem System vergeblich. Der DFB übernimmt und integriert dieses Spielintelligenz-Konzept mittlerweile immer intensiver.

Eine weitere Methodik ist das weltweit verbreitete „Coerver®-Training“. Es verspricht große Vorteile im technischen Bereich, aber reicht das allein aus? Gut informierte Trainer haben sich schon immer aus den zur Verfügung stehenden Konzepten einen gesunden Mix zusammengestellt, wahrscheinlich ist das die sinnvollste Lösung. Nach neuesten Erkenntnissen sollte jedes Training nach den nachfolgend beschriebenen Kriterien aufgebaut sein und dabei ist es egal, nach welchem Prinzip trainiert wird.

DFB-Konzept, Horst Wein und Coerver® ins 4-Phasen-Modell integrieren

Exkurs: Passspieler oder Dribbelkünstler, wurde falsch ausgebildet?

Was wollen wir durch das Nachwuchstraining eigentlich erreichen? Unser Ziel ist, Spieler so gut wie möglich technisch ausbilden. An diesem Punkt sind sich sicher alle einig und daran hat sich auch nichts geändert.

Nach dem schlechten Abschneiden der Nationalmannschaft bei der WM 2018 wurden wieder Stimmen laut, die eine Reform der DFB-Ausbildung forderten. Als Fehlerursache wurde der „Pass-Spieler“ ausgemacht, denn in andren Ländern ist langer Ballbesitz out. Der Dribbler, der ins 1 gegen 1 geht, wird jetzt zum Objekt der Begierde.

5 Erimabälle – Teamsportbedarf.de

Was denn jetzt? Passspieler oder Dribbelkünstler? Das Ausbildungsziel liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Aber wird Spielintelligenz und Kreativität in unserer Nachwuchsarbeit wirklich ausreichend gefördert? Erlauben und ermöglichen wir schon im Kinderfußball kreativ zu sein? Am Ende der Ausbildung, also der Jugendzeit, sollen Spieler zur Verfügung stehen, die mutig und kreativ eigene Entscheidungen treffen. Das gilt für alle Spielklassen, je nach technischem Vermögen und so nimmt die Förderung der Spielintelligenz in der Ausbildung einen immer höheren Stellwert ein.

Phasen der Spielintelligenz

Was genau bedeutet eigentlich Spielintelligenz? Betrachten wir einmal die Struktur einer Handlung. Wie läuft diese bei unseren Spielern ab? Ein Handlungszyklus kann in vier Teilbereiche unterschieden werden, die in fester Reihenfolge ca. alle 3 Sekunden aufeinander folgen:

1. Wahrnehmen

Der Spieler orientiert sich auf dem Feld. Wo steht er? Wo sind die Mit- und Gegenspieler? Wo ist der Ball?

2. Verstehen

Jetzt muss der Spieler die Situation verstehen und einschätzen. Was bedeutet die Situation für ihn? Steht er gut oder schlecht? Muss er sich bewegen oder auf seiner Position verweilen?

3. Entscheiden

Es gibt im Fußball immer mindestens zwei, meistens sogar weitere Optionen. Im nächsten Schritt, nach der Orientierung und dem Einschätzen der Situation, muss der Spieler eine Entscheidung treffen. Läuft er los oder bleibt er stehen? Spielt er den Pass oder geht er ins 1 gegen 1? Schießt er in die rechte oder linke Torecke?

4. Ausführen

Zum Schluss der Handlung steht die Ausführung. Der Spieler spielt den Pass, dribbelt los, läuft zurück usw. und setzt seine Entscheidung in eine Handlung um.

Das 4-Phasen- und Spielkompetenz-Modell

Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann von der Friedrich-Alexander-Universität hat das „Horst Wein-Konzept“ wissenschaftlich untersucht und stellt das 4-Phasen-Modell in seinem Ergebnis vor. In seiner Präsentation „Wettkampfsystem 4.0“ macht er deutlich, dass die Berücksichtigung der 4-Phasen fürs Training und den Spielbetrieb zwingend erforderlich ist.

Anmerkung der Redaktion: Prof. Dr. Dr. Lochmann steht im Trainertalk zum Thema „Wettkampfstrukturreform im Kinder- und Jugendfußball“ freundlicherweise für Fragen zur Verfügung. Dieses Thema umfasst den neu entwickelten Spielbetrieb für Nachwuchskicker, siehe auch „Bayern startet Reform im Kinderfußball“.

In der Ausgabe Mai 2019 des Fachmagazins „Fußballtraining“, nennt Dr. Stephan Nopp dieses Konzept „Das Spielkompetenzmodell“. Er unterscheidet allerdings in lediglich drei Phasen zwischen Wahrnehmung, Entscheidung und Umsetzung. Der Prozess des Verstehens wird hier mit dem Prozess der Wahrnehmung gleichgesetzt. Das Prinzip ist identisch und für meine folgende Betrachtung daher als gleichwertig anzusehen.

Was bedeutet das fürs Nachwuchstraining in der Praxis?

Wie oben beschrieben, durchlaufen Spieler etwa alle 3 Sekunden das Phasenmodell. Jeder Teilzyklus hat den gleichen Stellenwert, ist also von gleicher Wichtigkeit. Um Spielern Erfolge im Spiel zu ermöglichen, ist ein schnelles, effektives und am Ende erfolgreiches Durchlaufen dieser Phasen erforderlich. Das Training sollte darauf ausgelegt sein, alle 4 Phasen im Ablauf anzubieten. Betrachtet man einzelne Übungen und Spielformen fällt auf, dass der 4. Phase (Ausführen) die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wird. Weiterhin wird deutlich, dass die 3. Phase (Entscheiden) oft zu kurz kommt.

Spielerbeobachtung und Berücksichtigung der 4 Phasen

Nachdem ich mich mit dem 4-Phasen-Modell theoretisch auseinandergesetzt hatte, habe ich meine U8/U9 Spieler im Training genau beobachtet und konnte sofort die Fähigkeiten der Spieler analysieren.

Zwei Beispiele aus meinen Beobachtungen:

Spieler A ist in der technischen Ausführung wirklich gut, beherrscht bereits alle Grundtechniken, sein schwächerer Fuß ist gut trainiert, er nutzt im Spiel beide Füße ganz selbstverständlich. Ballannahme, Pässe und Torschüssen führt er, je nach Spielsituation, mit beiden Füßen und technisch gut aus.

Der Bereich der Ausführung (Phase 4) ist also top. Warum gewinnt er dann nicht die meisten Zweikämpfe? Warum gelingt ihm nicht fast jeder Pass?

Die Antwort ist relativ einfach: Seine Schwächen liegen in den Phasen 1 bis 3. Mittlerweile würde ich sogar sagen, dass seine Wahrnehmung, sein Verständnis und seine Entscheidungen gut sind, er benötigt nur zu viel Zeit für diese Teilzyklen, bis er schließlich zur Ausführung kommt. Seine Gegenspieler durchlaufen die Phasen oft schneller und führen entsprechend schneller eine Handlung aus. Spieler A ist oft gezwungen, sich neu zu orientieren und damit den Zyklus neu zu durchlaufen, er schafft es also oft erst gar nicht bis zur Phase 4.

Spieler B hat die meisten erfolgreichen Aktionen im Training und im Spiel, er gewinnt Zweikämpfe, Laufduelle und erzielt viele Tore. Trainer der gegnerischen Teams sprechen mich oft auf das Leistungsvermögen des Spielers an. Man sollte also meinen, er ist für sein Alter gut entwickelt und bis hier auch gut trainiert worden. Aber auch bei ihm konnte ich unter Betrachtung des 4-Phasen-Modells wichtige Erkenntnisse gewinnen: In Phase 4 (Ausführung) ist er wirklich schwach, er erzielt viele Tore mit der Pike und fast nur mit dem starken Fuß. Technische korrekt ausgeführte Schüsse und Pässe sind eher selten. Der schwache Fuß ist erheblich schwächer und wird nur im Notfall genutzt, hinzu kommen noch zahlreiche vergebene Torchancen, trotz der vielen Erfolge, weil die technische Ausführung mangelhaft ist.

Wie kommt es trotzdem zu den vielen erfolgreichen Aktionen von Spieler A?

Es ist die extrem hohe Geschwindigkeit beim Durchlaufen der Phasen 1 bis 4. Er reagiert fast immer schneller als alle anderen Spieler auf dem Feld und hat dadurch meist einen erheblichen Vorsprung. Durch diesen Vorsprung kann er dann, auch mit einer schlechten technischen Ausführung, noch erfolgreiche Aktionen ausführen.

Die Umsetzung des 4-Phasen-Modells in die Trainingspraxis

Das Training und der Wettkampf sollten so aufgebaut werden, dass Nachwuchsspieler ständig diese Phasen durchlaufen und Erfahrungen sammeln können. Der Aufbau der Übungen und Spielformen, die Regeln und das Verhalten des Trainers sind die Faktoren, die dazu angepasst werden müssen. Zum besseren Verständnis einige Beispiele:

1. Wahrnehmen lernen

Fußball ist ein Spiel, dass durch optische Reize bestimmt wird. Der Ball ist das wichtigste Objekt, macht aber selbst keine Geräusche. Trainer sollten die optische Reizverarbeitung und die Orientierung in Spielformen fördern.

2. Verstehen lernen

Aufwärmspiele und Spielformen mit Provokationsregeln so ausstatten, dass Spieler zum Verstehen und Einschätzen einer Situation gezwungen werden.

3. Entscheiden lernen

Den Spielern immer zwei Optionen anbieten, so verlangen zwei Tore je Team immer wieder die Entscheidung, welches Tor jetzt Priorität hat. Beim Ausball darf der Spieler eindribbeln oder einpassen, er muss sich entscheiden.

4. Ausführen lernen

Das Trainieren der richtigen technischen Ausführung ist vermutlich nicht das Problem. Statt einer isolierten technischen Übung, sollte aber ein Aufbau genutzt werden, in dem die Spieler Phase 1 bis 3 durchlaufen müssen und erst dann die eigentliche Technikübung ausführen.

Das Trainerverhalten an das 4-Phasen-Modell anpassen

Im Training und im Wettkampf geben Trainer oft Anweisungen: „Spiel da hin - Pass - Lauf - Schuss“. Dieses Verhalten unterbindet aktiv die eigene Handlungskompetenz der Nachwuchsspieler. Sie werden ferngesteuert und das selbständige Entscheiden wird „abtrainiert“.

Fazit

Ein Nachwuchstrainer soll die Ausbildung der Spieler so gestalten, dass diese beim Fußballspielen allein und selbständig agieren! Spieler müssen individuelle Erfahrungen sammeln, sich orientieren und ermutigt werden, eigene Entscheidungen zu treffen.

 


Der Autor Carsten Schubert arbeite seit vielen Jahren als Trainer im Kinder- und Jugendbereich und Inhaber der C- und B-Lizenz. Er ist Trainer eines F-Jugend-Teams, Jugendleiter, Kreisauswahltrainer und Co-Trainer eines Herren-Bezirksliga-Teams.

Quellen:
Fußballtraining Mai 2019, Prof. Dr. Dr. Lochmann
Forum Trainertalk

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