Fokus auf den Spielaufbau!

Spielform Spielaufbau mit sechs Spielprinzipien

Der Autor Daniel Kohrs arbeitet seit seinem 20. Lebensjahr als Jugendtrainer und ist Inhaber der B-Lizenz. Nachdem er anderthalb Jahre die U17 eines Kreisligisten trainierte, war er zuletzt als Co-Trainer im Nachwuchsleistungsbereich eines Oberligisten tätig.


 

Die Nachspielzeit läuft im ausverkauften Stadion, es steht 1:1 zwischen dem Tabellenführer und dem Abstiegskandidaten. Das Spiel steht auf des Messers Schneide – das frühe Führungstor des Außenseiters konnte der Tabellenerste recht schnell ausgleichen. Seitdem entwickelte sich ein Spiel, das mit dem Titel „Einbahnstraßen-Fußball“ noch harmlos umschrieben wäre. Der Underdog beschränkte sich nur noch auf die Defensive, doch der Tabellenführer fand bislang keine Lücke.

Und schon wieder! Der Linksverteidiger bricht den Angriff ab und spielt zurück zu seinem Innenverteidiger-Kollegen. Ein ungeduldiges Raunen geht durch das Stadion, die Fans rechnen mit dem nächsten verzweifelten Flugball des Innenverteidigers. Es dürfte der einhundertste in diesem Spiel sein.

Doch diesmal kommt kein langer Ball. Der Innenverteidiger dribbelt auf eigene Faust an und zieht zwei Gegenspieler auf sich. Was jetzt? Doch ein langer Ball? Zurück zum Torwart? Foulen lassen? Er sieht rechts von sich seinen Sechser, der vehement den Ball fordert. Stolpernd befördert er den Ball mit letztem Einsatz zu seinem Teamkollegen. Der Sechser hat nun etwas freien Raum vor sich und dribbelt ebenfalls an. Er sieht seinen Stürmer zielstrebig in die Schnittstelle zwischen beiden Innenverteidigern starten. Der Pass kommt gut! Der Stürmer blickt einen kurzen Moment Richtung Torwart - und schiebt zum 2:1 ein! Das Stadion steht Kopf und feiert den Stürmer!

Doch lass uns kurz darüber nachdenken, wodurch der Stürmer überhaupt erst in diese Situation kommen konnte. Letztlich beginnt jeder erfolgreiche Angriff mit einem ebenso erfolgreichen, planvollen Spielaufbau. Doch wie sieht der aus? Wie kann man ihn trainieren und warum sollte man ihn überhaupt trainieren? Mit diesen Fragen werden wir uns im Folgenden beschäftigen.

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Spieleröffnung – „hoch und weit“ oder „flach und planvoll“?

Jedes Mal, wenn der Ball beim Torhüter ist, muss dieser zwischen zwei grob zu unterteilenden Varianten unterscheiden: „Schlage ich den Ball lang nach vorne und wünsche unserem Stürmer viel Glück? Nutze ich das kurze Anspiel auf einen meiner Innenverteidiger, um das Spiel ruhig aufzubauen?“

Zumindest im Jugendfußball sollte letztere Variante allein schon aus Ausbildungsgründen klar bevorzugt werden. Durch flache Spieleröffnungen müssen die Spieler viel häufiger (konstruktive) Lösungen im Spiel mit dem Ball finden. Ein planvoller Spielaufbau bringt auch immer den Vorteil mit sich, selbst häufig in geordneten (und damit planbaren) Ballbesitzphasen zu sein. Das heißt für die Spieler erst einmal: viele Ballkontakte. Hinzu kommt, dass den Spielern in diesen geordneten Ballbesitzphasen auch sehr detailliert offensiv-taktische Verhaltensweisen vermittelt werden können.

Vorüberlegungen zum Spielaufbau - Spielprinzipien und Leitlinien

Wie verhalten wir uns in welcher Situation?
Welche Ziele verfolgen wir im Offensivspiel?
Welche Räume möchten wir im Spielaufbau wie ansteuern?

Um diese (exemplarischen) Fragen zu beantworten und mit dem Team Lösungen zu erarbeiten, ist es wichtig, sich als Trainer im Vorfeld entsprechende Gedanken zu machen. Dies kann beispielsweise durch das Aufstellen von allgemeingültigen Spielprinzipien oder Leitlinien erfolgen. Beispiele hierfür sind:

  1. Wir fächern in Ballbesitz sofort in Breite und Tiefe auf.
  2. Wir eröffnen das Spiel flach auf die Innenverteidiger.
  3. Wir stellen Überzahl in der ersten Linie her (z.B. mit einem abkippenden Sechser gegen zwei Spitzen).
  4. Wir locken den Gegner geduldig auf eine Seite und öffnen ballfern Räume.
  5. Wir bespielen diese ballfernen Räume durch schnellstmögliche Spielverlagerungen.
  6. Wir nutzen die freien Räume am Flügel, indem wir Überzahlsituationen herstellen.

Diese Prinzipien dienen nur als veranschaulichende Beispiele und sollten letztlich vom Trainer nach eigenen Idealvorstellungen formuliert und ergänzt werden.

Und dann?

Sobald die Spielprinzipien festgehalten sind und eine Idealvorstellung des eigenen Offensivspiels existiert, kann damit begonnen werden, diese Verhaltensweisen mit den Spielern zu erarbeiten. Dies kann (je nach Alters- und Leistungsstufe) unterstützend natürlich durch Taktikbesprechungen erfolgen, im Folgenden soll es jedoch primär um die Arbeit auf dem Platz gehen.

Die Arbeit auf dem Platz - Praxisnah trainieren

Mein Trainerausbilder sagte recht häufig: „Trainiert die Dinge doch einfach so, wie sie auch im Spiel vorkommen.“ In diesem Sinne ist auch diese Trainingsform spielidentisch aus dem 11-gegen-11 abgeleitet.

Spielform zum Spielaufbau

Organisation:

  • Diese beispielhafte Trainingsform wurde aus dem 4-4-2 abgeleitet. Rot spielt mit einer Viererkette und zwei Sechsern auf vier an der Mittellinie postierte Passtore, welche die verbleibenden offensiven Positionen (beide Flügelspieler und beide Stürmer) darstellen.
  • Das Sparringsteam Blau spielt mit zwei Spitzen und einem flachen Vierer-Mittelfeld, welches sich in der Defensive nur innerhalb der eingezeichneten Zone bewegen darf. Dies ist wichtig, da das Mittelfeld ansonsten erfahrungsgemäß dazu neigt, extrem hoch zu schieben und dadurch Situationen herstellt, die nicht spielgemäß sind.
  • Die Höhe der Zone und dementsprechend die Pressinghöhe von Blau kann natürlich variiert werden. Die Passtore sollten wie abgebildet unbedingt etwas außerhalb der schwarz markierten Zone stehen, um ein simples Zustellen von Blau zu verhindern.
  • Die blauen Stürmer dürfen sich frei bewegen. Sie sollen entscheiden, in welchen Situationen sie Rot unter Druck setzen können (Pressingauslöser) und wann sie ihre Mittelfeldreihe beim Verschieben unterstützen.

Ablauf:

  • Das Spiel beginnt beim Torwart des Coachingteams Rot, welches sich frei bewegen und somit auch die eingezeichnete Defensivzone von Blau besetzen darf.
  • Sobald der Torwart den Ball wie gefordert flach ins Spiel gebracht hat, erfolgt ein wettspielgemäßes sechs gegen sechs auf die vier Passtore. Blau darf nach Ballgewinn mit allen Spielern kontern, auch das blaue Mittelfeld darf also seine Zone verlassen.
  • Bei Ausball beginnt das Spiel jederzeit erneut beim Torwart, um eine möglichst hohe Wiederholungszahl des Spielaufbaus zu gewährleisten.

Coaching der Prinzipien im Spielaufbau

Das Coaching ist letztlich immer das wichtigste und entscheidende Element, um die oben genannten Vorüberlegungen seinen Spieler zu vermitteln.

Spielprinzip 1

Schon bevor der Ball im Spiel ist, können wir unser erstes Prinzip („wir fächern in Ballbesitz sofort in Breite und Tiefe auf“) einfordern, indem die Außenverteidiger breit und möglichst hoch schieben und auch die restlichen Spieler ihre Positionen entsprechend leicht anpassen.

Spielprinzipien 2 und 3

Das Einfordern von Prinzip Nr. 2 („wir eröffnen das Spiel flach auf die Innenverteidiger“) ist selbsterklärend. Sollten die Innenverteidiger von beiden blauen Spitzen zugestellt sein, kommt Prinzip 3 („wir stellen Überzahl in der ersten Linie her“) zum Tragen. Die Überzahl kann in der Spieleröffnung durch einen Sechser hergestellt werden - im laufenden Spiel könnte sich je nach Trainerphilosophie auch der Torwart zwischen die Innenverteidiger schieben, um das Spiel aus der Torwartkette aufzubauen.

Spielprinzipien 4 und 5

Die Prinzipien 4 und 5 („wir locken den Gegner geduldig auf eine Seite und öffnen ballfern Räume“ und „wir bespielen diese ballfernen Räume durch schnellstmögliche Spielverlagerungen“) beschäftigen sich dann damit, den Gegner geduldig zum Verschieben zu zwingen und den Angriff letztlich durch eine Spielverlagerung einzuleiten.

Beispielhaft kann dies wie in der Grafik aussehen:

Der Gegner wird durch kurze Pässe (z.B. vom Innen- auf den Linksverteidiger) auf die linke Seite gelockt, ehe der Ball über den Sechser aus dem Druck herausgespielt wird. Der Innenverteidiger hat nun genug Zeit, das Spiel sofort auf die freigespielte rechte Seite zu verlagern. Der Rechtsverteidiger kann den Angriff nun auslösen.

Spielprinzip 6

In diesem Moment würde im 11-gegen-11 mithilfe des Rechtsaußen dann unser sechstes Prinzip („wir nutzen die freien Räume am Flügel, indem wir Überzahlsituationen herstellen“) zum Tragen kommen.

Weitere Coachingpunkte

Losgelöst vom mannschaftstaktischen Kontext können die Spieler natürlich auch individuell oder gruppentaktisch gecoacht werden. Beispiele hierfür können sein:

  • Pässe möglichst leicht in den Vorlauf spielen.
  • Erster Kontakt in die Vorwärtsbewegung.
  • Passqualität (Technik, angemessenes Tempo, Genauigkeit).
  • Kommandos (z.B. „dreh“ oder „klatsch“, gerade bei Pässen in die Sechserposition).
  • Spieler zum Andribbeln ermuntern und bei passender Gelegenheit den tiefen Pass in die Zieltore fordern. Mutig sein!
  • Innenverteidiger nach hinten absetzen für einen Pass des Außenverteidigers aus dem Druck heraus.
  • Pendelbewegungen der Sechser einfordern! Die ballnahe Sechs schiebt hoch, die ballferne kommt leicht entgegen, um möglichst viele Passlinien zu öffnen.
  • Sechser eng genug bleiben, um dem andribbelnden Innenverteidiger den tiefen Pass in eines der zentralen Passtore (=Stürmer) zu ermöglichen. Keine Passlinien zulaufen!

Variationen:

  • Bei Ballgewinn kontert Blau zu sechst nur gegen die roten Innenverteidiger (Belohnungscharakter).
  • Grundordnung von Blau variieren, um Rot weitere Lösungen zu vermitteln.
  • Blau darf bei bestimmten Auslösern (Trainersignal, Pressingauslöser wie unsaubere Pässe o.ä. …) auch mit der Mittelfeldkette vorschieben.

Erschwerungen für Rot (Blau bekommt diese nicht mit):

  • Jeder Spieler muss den Ball berühren.
  • Ein bestimmtes Passtor muss angesteuert werden.
  • Ein bestimmter Spieler muss ein beliebiges Passtor ansteuern.
  • Bestimmte Spieler dürfen nur One Touch spielen.

Schlussbemerkungen

Gerade in der Anfangszeit und insbesondere im Jugendbereich werden deine Spieler viele technisch-taktische Fehler im Spielaufbau machen. Und ja: Diese Fehler werden zu Gegentoren führen. Mehrfach!

Arbeite dennoch weiter an konstruktiven Lösungen im Spielaufbau und lass den Ball aus Angst vor Fehlern nicht nur lang nach vorne schlagen. Deine Spieler werden davon profitieren und es dir danken!

Enden möchte ich in diesem Zusammenhang gerne mit einem Zitat von Martin Rafelt (u.a. Autor bei Spielverlagerung.de): „Auf jede Mannschaft, die in Schönheit stirbt, kommen hundert, die in Hässlichkeit sterben – kein Grund also, sich auf Hässlichkeit zu fokussieren.

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